Rahmenverträge für IT-Dienstleister – innovative Lösung oder neues Übel?

12. Mai 2015 um 18.41 Uhr
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Business contract

Die vergangenen 12 Monate brachten eine markante Zunahme von Ausschreibungen für „Rahmenverträge“ für IT-Dienstleister auf der Ausschreibungsplattform SIMAP der öffentlichen Verwaltung. Insbesondere kantonale Verwaltungen schlossen sich der vom Bund seit längerem praktizierten Vorgehensweise an.

Im Markt sind diese Ausschreibungen sehr umstritten. Zu recht oder unrecht?

Rahmenverträge für Dienstleistungen – um was geht es?
Die Gesetzgebung für das Beschaffungswesen auf nationaler wie auf kantonaler Ebene kennt Schwellenwerte für Beschaffungen. So sind beispielsweise IT-Dienstleistungen ab einem Beschaffungswert von CHF 250’000 öffentlich auszuschreiben. Grossprojekte der öffentlichen Verwaltung werden darum seit langem auf der Ausschreibungsplattform SIMAP ausgeschrieben.

In der Praxis von IT-Projekten und Systembetrieb ergeben sich aus diesen Vorgaben aber auch einige Probleme, welche IT-Führungskräfte der öffentlichen Verwaltung wie folgt zusammenfassen:

  • Öffentliche Ausschreibungen dauern zu lange, die Informatik wird dadurch zu unflexibel
  • Die Schwellwerte für das offene Verfahren sind zu tief
  • Der genaue Bedarf ist oft im Voraus nicht bekannt
  • Die Projektentwicklung in Phasen oder Etappen wird erschwert
  • Permanente Ausschreibungen erschweren das Lieferantenmanagement und führen zu Know-How Verlust

Zur Umgehung dieser Nachteile hat sich ein neue Praxis eingebürgert: öffentliche Verwaltungen schreiben ein geschätztes Volumen von IT-Dienstleistungen über eine Frist von meist 4 Jahren aus, ohne spezifische Projekt-Pflichtenhefte zu erstellen. An ihre Stelle treten generelle Anforderungen an die bewerbenden Firmen und ihre Mitarbeitenden, wie Know-How, Erfahrung und Zertifikate in den entsprechenden Fachgebieten. Der Zuschlag erfolgt schliesslich für eine Anzahl von Firmen, welche in ihrem Fachgebiet einen Rahmenvertrag erhalten – ohne Abnahmeverpflichtung seitens der ausschreibenden Stelle. Für die Anbieter bedeutet dies, dass sie für 4 Jahre den Status eines «preferred suppliers» erhalten und mit Aufträgen rechnen können.

Die Kritik
Aus Sicht vieler IT-Dienstleister ist die Sachlage klar: die öffentliche Verwaltung will sich um Projekt-Ausschreibungen drücken. An Stelle von transparent geplanten Projekten und klaren gegenseitigen Verpflichtungen tritt ein diffuser Anbieterpool, aus dem sich die ausschreibende Stelle nach Lust und Laune bedienen kann. Die öffentliche Verwaltung hat damit einen Freipass für den Einkauf beliebiger Ressourcen, was insgesamt die Preise am Markt drückt. Grosse Anbieter sind im Vorteil und kleine und insbesondere schweizerische Anbieter werden aus dem Markt gedrängt. Ist diese Kritik berechtigt?

Eine differenzierte Betrachtungsweise lohnt sich, wie wir nachfolgend ausführen.

Vorteile für die öffentliche Verwaltung
Ausschreibungen sind nicht nur eine gesetzliche Vorgabe, sondern lohnen sich auch aus ökonomischer Sicht: verschiedene Anbieter und Lösungsansätze werden verglichen und das Angebot mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis wird bestimmt. Grossprojekte werden deshalb von fast allen öffentlichen Verwaltungen einzeln ausgeschrieben.

Schwieriger ist die Sachlage bei System-Erweiterungen, Changes, Supportdienstleistungen, Kleinprojekten und Betriebsdienstleistungen (Outtasking). Für diese Bedarfe erschien es in der Vergangenheit nicht lohnenswert, Ausschreibungen durchzuführen. Hier haben sich bei vielen Verwaltungen über die Jahre Geschäftsbeziehungen mit «Hauslieferanten» etabliert. Da wiederholte Auftragsvergaben sich über die Zeit zu ausschreibungspflichtigen Summen addieren, hat man vielerorts die Notwendigkeit erkannt, sich beschaffungsrechtlich abzusichern. Für die genannten Leistungen sind Rahmenverträge ein gutes Instrument. Denn neben dem Persilschein bei der nächsten Revision ergeben sich bei genauerem Hinsehen weitere Vorteile:

  • man lernt durch die Ausschreibung den Markt wieder kennen und erhält Informationen über Anbieter,
    Personen und Technologien
  • man erhält einen Überblick über die Preise am Markt
  • mit einem Pool von 3-5 Anbietern pro Fachgebiet können zukünftige Projekte rasch und zielführend personell besetzt werden

Vorteile für den Markt
Auf die Kritik seitens der IT-Dienstleister sind wir bereits eingegangen. Aber handelt es sich bei den Rahmenvertrags-Ausschreibungen wirklich nur um «Vernebelungs-Manöver» seitens der öffentlichen Verwaltung? Haben sie keinerlei Nutzen für den Markt?

Sieht man genau hin, wird erkennbar, dass viele der nun nachgefragten Dienstleistungen über Jahre durch die gleichen «Hauslieferanten» erbracht wurden, sie waren also de facto dem Markt entzogen. Durch die Vergabe an die immer gleichen Anbieter hatten viele Firmen gar keine Chance, ihre Kompetenz und ihr Angebot bekannt zu machen. Und dies betraf viele Anbieter: das «eigene Gärtchen» beim Kunden X wurde gepflegt, dafür musste man auf Aufträge bei Y und Z verzichten. Mit den Rahmenvertrags-Ausschreibungen werden Dienstleistungen wieder umfassend am Markt ausgeschrieben. Insgesamt erhöhen die neuen Ausschreibungen also die Professionalität und die Transparenz im Markt. Und diese sollte eigentlich im Interesse aller Anbieter sein.

Erwähnenswert ist auch, dass der Aufwand für die Teilnahme an Rahmenvertrags-Ausschreibungen für die Anbieter geringer ist, als bei Projektausschreibungen: es müssen keine kundenspezifische Lösungsvorschläge erstellt sondern nur firmeneigenen Kompetenzen und Ressourcen deklariert werden.

Die feinen Unterschiede
Nicht alle Ausschreibungen für Rahmenverträge sind «gut für den Markt». Denn es kommt darauf an, wie die Ausschreibung aufgesetzt ist und was damit bezweckt wird. Was aber unterscheidet eine zielführende Rahmenvertrags-Ausschreibung von einer plumpen Ressourcenbeschaffung via dutzende Dossiers von Personalvermittlern?

Wenn wir bei example consulting Rahmenvertrags-Ausschreibungen aufsetzen und begleiten, erhalten wir in diesem Prozess viele Fragen seitens der Kunden, d.h. der ausschreibenden IT-Organisationen. Diese führen oft zu grundsätzlichen Orientierungsfragen betreffend das Lieferantenmanagement oder generell das IT-Management. Wichtig ist also, dass Ausschreibung und Fragen des IT-Management, wie beispielsweise ein Projektportfolio, aufeinander abgestimmt sind. Das Resultat führt zur richtigen Granularität der Ausschreibungs-Komponenten, d.h. die Aufteilung auf marktkonforme Fachgebiete und die Definition der entsprechenden Anforderungen.

Dazu braucht es eine fachkundige Begleitung des gesamten Prozesses. Es genügt nicht, dass Informatikabteilungen ihre Ressourcenanforderungen einer «Beschaffungsstelle» zur Ausschreibung übergeben. Wohl aus diesem Grund sind die zentralisierten Ressourcen-Ausschreibungen des Bundes überdurchschnittlich stark in der Kritik, kommen sie doch eher grobschlächtig als massgeschneidert daher.

Ein weiterer wichtiger Punkt, welcher ab der grossen Menge eingereichter Lebensläufe (CV’s) von IT-Spezialisten gern übersehen wird: Rahmenverträge werden mit Firmen abgeschlossen. Auch wenn es sich bei externen Informatikdienstleistungen um ein «people business» handelt – es sollte letztlich Firmenkompetenz gesucht, evaluiert und vertraglich verpflichtet werden.

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Portrait RFu 120x120Roland Füllemann, Geschäftsführer von example consulting, hat 20 Jahre Erfahrung mit Informatikprojekten im ERP-Umfeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Projektinitialisierung, Ausschreibungen für die öffentliche Verwaltung und Projektmanagement. Er ist Mitglied der Alumni Wirtschaftsinformatik Universität Zürich und nebenberuflich Dozent für Informatik an der HWZ Hochschule für Wirtschaft, Zürich.

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